Aus einem alten Wanderbuch. Mit Humor.
Auf|bruch, der: Idealerweise ein froher, optimistischer Moment. In der Realität meist von Unruhe überlagert: Wanderführer dabei? Sonnencreme eingepackt? Zuhause alles geregelt? Pflaster für die --> Blasen?
Bier, das: Bevorzugte Nahrung männlicher Wanderer, was man ihnen oft ansieht. Wird gerne schon während der Mittagsrast konsumiert. Vermeintlich Sportliche trinken "Radler" (Bier-Limo-Mix). Schwer Bierabhängige schleppen Dosen oder Flaschen (!) im Rucksack mit, um sich auf Strecken ohne Gasthof den Stoff warm (!) zuzuführen. Eigene Experimente mit Bier zeigten: Trittsicherheit lässt nach, Fähigkeit zum Bergaufgehen leidet. Deshalb ist der Verfasser Wander-Abstinenzler geworden (und holt das Versäumte dann ab ca. 19 Uhr nach).
Bla|se, die: Fussblasen werden oft interpretiert als Resultat suboptimalen Schuhkaufs. In Wahrheit sind sie eine fast unabwendbare Begleiterscheinung des Wanderns an sich. Durch das nur sporadische Gehen findet die nötige Verhornung der Fusshaut nur unzureichend statt, welche dann auf intensive Beanspruchung mit Blasenbildung reagiert. Hinzu kommt, dass Wandernde meist zu schwer für ihre Füsse sind (Übergewicht plus Rucksack, vgl. --> Bier). Eine heimliche Grossindustrie, das Fusspflastergewerbe, lebt von diesem Grundwiderspruch.
Ge|dan|ken, die: Dem Wandernden geht meistens einiges durch den Kopf, zumindest bei Kommunikationspausen mit dem Wanderpartner, vor allem aber beim Alleinwandern. Gemeinhin das übliche Durcheinander aus Beruf, Familie, Zukunftsplanung, Melancholie und Erotik. Dass man beim Wanden klarer denkt, kreativer ist, zu mutigen Entschlüssen gelangt, wird oft behauptet - ob das auch stimmt? Vielleicht könnte ich mal bei der nächsten Tour darüber nachdenken. Ich meinerseits denke häufig an nichts, an einfach gar nichts, ob Sie's glauben oder nicht. Das ist entspannend, vielleicht sogar meditativ.
Ge|hen, das: Zentrale Tätigkeit beim Wandern. Der Oberkörper beugt sich leicht über den Körperschwerpunkt, die Beinmuskeln übernehmen die Vorwärtsbewegung: es entsteht ein rasches, konzentriertes Voranschreiten, der typische Wanderschritt. Zu unterscheiden ist er vom langsameren Spazier- oder Schlendergang. Der geschieht mit eher durchgedrücktem Rücken (was auch an dem fehlenden Gewicht vom Rucksack liegen mag), die Bewegung der Beine scheint von den Hinterbacken aus vor sich zu gehen. Wenn Sie merken, dass Sie schlendern, dann reissen Sie sich gefällig zusammen! Das können Sie im Stadtpark oder in der Fussgängerzone machen, aber nicht auf dem Wanderpfad!
Grü|ssen, das: Lobenswerte Sitte, um die Fremdheit sich begegnender Menschen in einsamer Gegend zu verringern. Grussworte richten sich normalerweise nach der bewanderten Gegend, "Guten Tag!" (Deutschland), "Grüss Gott!" (Bayern, Österreich, Südtirol), "Grüezi!" (Schweiz) usw. Handelt es sich ersichtlich oder hörbar um Angehörige des eigenen Stamms, kann man natürlich auch auf Teneriffa oder Sizilien "Tach!" sagen. Dankenswerterweise gibt es ein ungeschriebenes Gesetzt, bei starker Häufung von Begegnungen aufs Grüssen zu verzichten. Aber was, wenn man einer langgezogenen Kette von, sagen wir, 200 Wanderern begegnet, für die man der einzige Entgegenkommende ist, und deshalb von jedem gegrüsst wird? Muss man dann auch? Was würde Kant dazu sagen?
Schlecht|wet|ter, das: Nach einer umstrittenen Theorie, die sich aus der allgemeinen Evolutionslehre ableitet, sind die Bewohner des mittleren und nördliche nEuropa deshalb wirtschaflich führend auf der Welt, weil es bei ihnen so kalt ist und der Himmel so oft weint. Deshalb mussten sie feste Häuser bauen, kluge Landwirtschafts- und Vorratstechniken entwickeln und sich vielerleit andere Lösungen für schwierige Probleme ausdenken, während man anderswo die Tage mit Tanz und Gesang zubrachte, Früchte ass, die v on den Bäumen fielen, und sich dann eines tages wunderte, als grosse Schiffe am Horizont erschienen, bemannt mit finsteren Bleichgesichtern.
Wer die Vorteile geniesst, muss auch mit den Nachteilen leben. Trotzdem: Das bei uns vorherrchende Sauwetter ist ein Fluch! Es gibt Wanderer, die behaupten, schelchte Witterung macht ihnen nichts aus, aber dabei handelt es sich meines Erachtens bloss um sozial übliche Schönfärberei: Weil man anderen keinen Anlass zu Schadenfreude bieten will, gibt man einfach nicht zu, dass der heilige Urlaub ein feuchtkalter Fehlschlag wurde. Ich aber finde: Wandern wird erst durch schönes Wetter schön. Und wenn's in Strömen giesst, leiste ich mir die Souveränität, mein Leid zu bekennen.
Trink|was|ser, das: Neigt dazu, entweder in zu geringer oder zu grosser Menge mitgeführt zu werden. Im ersten Fall ächzt man vor Durst, im zweiten Fall unter den unnötigen Pfunden im Rucksack. Trinkwasser nachzufassen ist überraschend schwierig. Brunnen gibt es heutzutage kaum noch, oder es sind Zierbrunnen mit Warnschild. Gastronomen reagieren finster auf die Frage nach Leitungswasser, weil sie teuren Sprudel verkaufen wollen, und so ist man auf ihre Toilettenwaschbecken angewiesen.
Weil Wasser "nach nichts" schmeckt, führen viele Wanderer irrigerweise Limo, Säfte, Iso-Drinks, --> Bier mit. Experten wissen jedoch: Wasser schmeckt hervorragend, wenn man sich vorher nur kräftig genug angestrengt hat.
Wan|der|weg, der: Wer hierzulande durch die Natur schreitet, tut dies gezwungenermassen oft auf Forst- und Wirtschaftswegen, jenen etwa drei Meter breiten, mit Kies bedeckten, manchmal sogar asphaltierten Pisten. Auf ihnen zu gehen, ist meist zum Sterben langweilig, doch schon vorher wird man von der Sonne geröstet, von Radfahrern gerammt, von Traktor-Abgasen vergiftet und von Holztransportern platt gefahren. Viel beleibter, aber seltener, sind kurvige, schmale Wege auf weichem Wald- oder Wiesenboden. Im Hochgebirgte indes sind Forstwege manchmal eine Erlösung, denn viele Steige sind durch Erosion so felsig geworden, dass sie bergab nur unter Qualen zu begehen sind.